Royal Talens Chinatusche auf 35 x 25 cm (220 g/qm Dorée Aquarellkarton).
Die aktuelle Aufgabe für meinen Q2-LK: Expressive Tuscheporträts malen. Vorgabe ist, nicht länger als sieben Minuten an einem Bild zu arbeiten. Als visuelle Anregung dienen Porträtfotos von künstlerischen Mitarbeitern des Düsseldorfer Schauspielhauses.
Besonders reizvoll an der beschriebenen Aufgabe sind die mehr oder weniger zufälligen Reaktionen der Zeichentusche, wenn sie mit angefeuchtetem Papier in Berührung kommt. Bei der Gestaltung der Porträts ist es damit möglich, zeichnerisch-lineare, klar voneinander abgegrenzte Bildbereiche mit zum Teil sehr differenzierten, malerisch-flächenhaften Tonwertverläufen zu verbinden. Dies führt zu überraschend freien, einerseits abstrahiert und zugleich in einzelnen Details beunruhigend naturalistisch wirkenden Ergebnissen. Das Verfahren macht den Schülerinnen und Schülern die Arbeitsweise der seit den 1970er Jahren in den Niederlanden lebenden südafrikanischen Künstlerin Marlene Dumas zugänglich. »What I love: a rapid line«, bekennt Dumas in der Retrospektive, die zurzeit das Amsterdamer Stedelijk Museum unter dem Titel »The Image as Burden« zeigt.
Die Ausstellung habe ich gesehen und werde mit meinen beiden LK-Kursen auf jeden Fall noch mal nach Amsterdam fahren. Beeindruckend ist die Bandbreite der existentiellen Bildthemen, mit denen sich Dumas seit 40 Jahren konsequent figürlich auseinandersetzt. Dabei geht sie einen grundsätzlich anderen Weg, als ich mit meinen Alltagsskizzen, die ja direkt aus der Anschauung vor Ort entstehen. Ich maße mir nicht an, mich mit Dumas künstlerisch zu vergleichen. Angesichts der gemeinsamen Vorliebe für eine zügige Zeichnung finde ich ihre gegensätzliche Position allerdings bemerkenswert:
»Ich arbeitete nie nach der Natur. Der Versuch, wie man es zum Beispiel noch in der abstrakten Malerei der Nachkriegszeit versuchte, dieses oder jenes Wirklichkeitsfragment einzufangen, schien mir immer eine dumme Sache. Malerei ist ja so unnatürlich, eine derart künstliche Angelegenheit, dass das kaum funktionieren kann. Was mich interessierte, war etwas über Gemütszustände und Beziehungen zwischen Menschen auszusagen. Da wäre ein Naturalismus nur illustrativ. Wenn Sie dagegen Fotografie verwenden, arbeiten Sie bereits mit einer verzerrten Realität und einem flachen Raum, der mit Wirklichkeit nichts mehr zu tun hat. […] Um diese Spannung, auch zwischen dem Dokumentarischen und der freien Zeichnung, geht es mir.«
(Zitatquelle: Interview in der österreichischen Tageszeitung Der Standard, 13.06.1995, S. 8. Zitiert nach: https://www.mip.at/texte/223/)
Meine beiden Tuscheskizzen gehen auf ein kleines AP-Foto zurück, das ich zufällig in einer älteren Zeitungsnotiz auf einem Arbeitstisch des Kunstraums finde. Es zeigt die Iranerin Sakine Mohammadi-Ashtiani. Die Frau war 2006 in Tiflis wegen Beihilfe zum Mord an ihrem Ehemann zum Tod durch Steinigung verurteilt und erst nach Aufsehen erregenden internationalen Protesten 2010 begnadigt worden.